Museum Folkwang Sammlung Online
  • Chronologische Einblicke in die Fotografische Sammlung – Fotografie der 1920er und 1930er Jahre

  • Internationale Avantgarde

    Die fotografische Praxis der 1920er und 1930er Jahre ist ein Schwerpunkt der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang.
    Nach dem Ersten Weltkrieg – einer Zeit einschneidender politischer und gesellschaftlicher Veränderungen – entwickelte sich eine kulturelle Produktion, in der die Gattungsgrenzen erweitert wurden, wobei den fotografischen und technischen Bildmitteln ein neuer Stellenwert zuerkannt wurde. Die Verfechter der neuen Fotografie setzten sich bewusst von den romantisierenden Genredarstellungen der Kunstfotografen der Jahrhundertwende ab. Die Wahrnehmung der modernen Großstadt, die industrielle Fertigung, deren Maschinenwelt und Technik wurden thematisiert.
    Technik und Tempo, die neuen populären Themen, begeisterten die Unterhaltungsindustrie, die Kunst und das Pressewesen.


    Experimentelle Fotografie

    Radikale Perspektiven, Isolierung des Objektes durch Nahsicht, ungewöhnliche Aus- und Anschnitte, Spiel mit Licht und Schatten, häufiger Einsatz von Diagonalen, Schwarzweiß-Kontrasten und Spiegelungen gehörten zu den wichtigsten Gestaltungselementen der fotografischen Praxis: der Reporter, Künstler, Fotografen und Autodidakten. Die im folgenden Text hervorgehobenen Werke stehen beispielhaft für diesen zeitlich definierten Schwerpunkt der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang.
    Anne Biermanns ungewöhnliche Blicke auf und in den Eiffelturm in Paris sind ein Beispiel für die Entdeckung der Welt aus bisher nicht wahrgenommenen Perspektiven. Oder die Experimente der Französin Florence Henri, die mit Spiegeln und Glasscheiben besondere Räume für ihre Stillleben schuf. Germaine Krull, fasziniert von architektonischen Eisenkonstruktionen, veröffentlichte 1927 in Paris das Buch ›Métal‹. In Tschechien war Jaromir Funke einer der Mentoren des Neuen Sehens.
    Der Ungar László Moholy-Nagy und der Österreicher Herbert Bayer waren beide als Lehrer am Bauhaus tätig, der damals in Deutschland progressivsten Hochschule für Kunst und Gestaltung. Viele der neuen Ideen und Ansätze kamen aus den Reihen der Bauhauslehrer und ihrer Schüler. Collagen, Montagen, Mehrfachbelichtungen und Fotogramme wurden dort von Studenten erprobt.
    Einer der einflussreichsten Experimentatoren war Moholy-Nagy sowohl als Monteur mit gefundenem Bildmaterial als auch im Labor. Mit der kameralosen Fotografie entwickelten er und Man Ray besondere Bildformen. Bereits 1922 gab der Amerikaner Man Ray eine Mappe mit 12 Fotogrammen unter dem Titel ›Champs Délicieux‹ heraus, die er als Rayogramme oder Rayographien bezeichnete.


    Neue Sachlichkeit

    Gleichzeitig zu den experimentellen Erkundungen entwickelt Albert Renger-Patzsch eine objektivierende fotografische Bildform. Die Spannbreite seiner Motive war groß. Neben Natur- und Landschaftsaufnahmen finden sich Bilder von Alltagsgegenständen, Porträts, Architekturfotografie und Themen aus den Bereichen Industrie und Technik. Mit dem Bildband ›Die Welt ist schön‹, 1928 im Kurt Wolff Verlag in München erschienen, gelang Albert Renger-Patzsch der internationale Durchbruch.
    Ebenfalls im Stil der Sachlichkeit schuf August Sander ein Sozialporträt der Weimarer Republik. Unter dem Titel ›Menschen des 20. Jahrhunderts‹ fotografierte er Vertreter der verschiedenen Gesellschaftsschichten, die er nach ihrer Berufszugehörigkeit, ihrem sozialen Status oder ihrer gesellschaftlichen Rolle auswählte. Ohne zu werten, aber mit dem Blick auf den Kontext richtete er seinen Blick auf die Menschen, denen er in ihrer Lebens- und Arbeitsumgebung Raum zur Selbstdarstellung lässt.
    Auch für Helmar Lerski, der sich gegen die menschliche Porträtfotografie wendet, ist der Abbildungscharakter der Fotografie entscheidend. Aber nicht die Repräsentation der Person gilt seinem Interesse, sondern seine durch Licht und Ausschnitte erreichbare Rolleninszenierung des Gegenübers. In dem 1937 in Tel Aviv entstandenen Projekt ›Verwandlungen durch Licht‹ (Metamorphose) entwirft er 175 Bildnisse einer Person. Der Nachlass des Fotografen ist im Besitz des Museums.


    Bilder für die Presse

    Der Bedarf an visuellem Informationsmaterial wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts an. Die Neugier der Menschen auf das, was in der Welt geschah, schien grenzenlos. Der Hunger nach Bildern der nicht bekannten Welt, aber auch des alltäglichen Geschehens hatte eine Expansion der Printmedien zur Folge. Die Schaulust der Menschen war durch die zunehmende Verwendung von Fotografien in den Zeitschriften gestiegen und eröffnete für die Fotografen ein neues Terrain.
    Es entstand die moderne Bildberichterstattung, deren herausragender Vertreter in Deutschland Erich Salomon war. Ebenso wie viele seiner Berufskollegen war er kein gelernter Fotograf, sondern Autodidakt. Bekannt wurde er durch seine Aufnahmen von Politikern in der Berliner Illustrierten Zeitung und sein Buch, das ›Berühmte Zeitgenossen in unbewachten Augenblicken‹ zeigt.
    Auch Wolfgang Weber erkannte die beruflichen Perspektiven, die der Bildjournalismus jungen Leuten, »outsidern«, bot. Neben Felix H. Man, den Gebrüdern Gidal, Kurt Hübschmann, Alfred Eisenstaedt, Harald Lechenperg und anderen zählte er zu den Bildberichterstattern, die im Auftrag der damaligen illustrierten Zeitungen und Zeitschriften Reportagen aus dem In- und Ausland lieferten.
    Auch in der jungen UdSSR entwickelten sich Film und Fotografie zum wichtigsten Informations- und Propagandamittel. Boris Ignatovic, Schüler und Weggefährte des Künstlers Alexander Rodtschenko, vertrat eine Strömung, die das Neue Sehen in der Fotografie auch für die Berichterstattung erschließen wollte. Man suchte nach einer neuen Bildsprache, die die veränderten sozialen und politischen Verhältnisse zum Ausdruck bringen und für die Zukunft propagieren sollte.


    Nach 1933

    Aufgrund der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 in Deutschland und die sofort eingeleitete Gleichschaltung der Presse mussten viele Fotografen sowie Agenturen- und Zeitschriftenmitarbeiter Deutschland verlassen. Mit ihren Ideen und Erfahrungen fanden sie besonders in England und den USA Beachtung und neue Arbeitsmöglichkeiten.
    Lisette Model hatte Österreich bereits 1922 verlassen, um in Paris Malerei zu studieren. Die Fotografie wurde erst einige Jahre später in dem Emigrationsland USA zu ihrem Beruf. Das hier vorgestellte Foto entstand um 1934 an der Französischen Riviera in einer Bildfolge auf der ›Promenade des Anglais‹ in Nizza, als sie bereits auf dem Weg in die amerikanische Emigration war.
    Die Fotografische Sammlung hat sich in ihrer Ausstellungstätigkeit immer wieder sowohl thematisch als auch monografisch mit den Protagonisten der 1920er Jahre und speziell einiger Emigranten beschäftigt. Erfreulicherweise erhielt sie in Folge umfangreiche Werkgruppen von Aenne Biermann, Lotte Jacobi und Annelise Kretschmer, die Nachlässe von Errell, Lotte Errell, Helmar Lerski, Germaine Krull und Walter Peterhans und konnte durch die Vermittlung von Floris Neusüss in Kooperation mit dem Centre Pompidou, Paris, eine hervorragende Kollektion der Arbeiten von Moholy-Nagy erwerben.
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  • Exh_Title_S: Chronologische Einblicke in die Fotografische Sammlung – Fotografie der 1920er und 1930er Jahre
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  • Exh_Comment_S (Verantw): Fotografische Sammlung
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Werke
Tadeusz Langier, Zakopane
Porträt mit Champs Élysées
Portrait Composition (Margaret Schall)
o.T. (Pariser Fenster)
Portrait Composition
o.T. (Portrait Composition)
Ohne Titel, Dessau
Ohne Titel, Dessau
Ohne Titel, Dessau
Ohne Titel
o.T. (Komposition)
Verwandlungen durch Licht (Nr. 519)
Verwandlungen durch Licht (Nr. 537)
Verwandlungen durch Licht (Nr. 550)
Verwandlungen durch Licht (Nr. 552)
o.T. (Stillleben mit Stoff und Muschel)
Emailleschalen (Künstler: Kurt Lewy)
Natterkopf
Bärentreiber im Westerwald, 1929
Zirkusarbeiter
The Monument of Alexander III in Leningrad
Kriegsschulden-Konferenz, Restaurant Anjema, Den Haag
o.T. (Schaufensterpuppen)
aus der Serie: Auf den Nadeln dieser Zeit
Promenade des Anglais, Nice
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